Im Vorverkauf seit 10. November 2016
Preisträger des Klavier-Festivals Ruhr 2009
Der Mann hat ein Anliegen: Musikvermittlung als ernsthafte Tätigkeit betreibt Sir András Schiff im Konzerthaus Dortmund. Sein Gastspiel beim Klavier-Festival Ruhr ist eins der Großereignisse des Programms. Schiff will hier mehr als nur auftreten. Er...
Der Mann hat ein Anliegen: Musikvermittlung als ernsthafte Tätigkeit betreibt Sir András Schiff im Konzerthaus Dortmund. Sein Gastspiel beim Klavier-Festival Ruhr ist eins der Großereignisse des Programms. Schiff will hier mehr als nur auftreten. Er will erklären, was er tut, wovon er – im Wortsinn – lebt.
Deshalb greift er zum Mikrophon, streift – als ausgesprochener Kritiker des Orbán-Regimes – die politische Situation in Ungarn, spricht in seinem sorgfältigen Deutsch von Nationalismus in seiner „engstirnigen und dummen Form“, um überzugehen zu Bach. „Auf den können Sie stolz sein“, wendet er sich an sein Publikum. In der ersten Hälfte – die als Programm beinahe gereicht hätte – setzt er Bach und Béla Bartók in Dialog. Er beginnt sehr pädagogisch mit dem Jugendwerk Bachs, dem B-Dur-Capriccio „Über die Abreise des geliebten Bruders“, kontrastiert damit Bartóks „Sechs Tänze im bulgarischen Rhythmus“ mit Duetten aus Bachs Clavier-Übung III. Seine Vorrede stellt mittelalterliche Kirchentonarten vor und weist darauf hin, wie bei Bartók auf den Wechsel von Tonarten und Tanzrhythmik zu achten ist.
Letztlich informiert in dieser Hälfte Bachs Capriccio alles, was danach folgt. Denn Schiff spielt das eigentlich programmatische Werk als Kurzreflexion über widerstreitende Gefühle. Dem heiteren Eingangspart folgt ein Teil, der quasi die gemischten Empfindungen der Zurückbleibenden nachvollzieht, die sich vom Abreisenden verabschieden. Auf einen Teil der Trauer folgt die Abreise an sich. Schiff spielt das durchaus leicht, aber in jedem Part kommt unausweichlich eine Stelle, an der sich die Musik zu ballen scheint. Sogar der erste, liebenswürdige Teil, den Schiff wie mit Weichzeichner im Melancholischen hält, trägt Widersprüche in sich, eine gewisse Scharfkantigkeit des Tons.
Die Bartók-Tänze beginnen als ein Vor-Sich-Hindenken. Die Tanzrhythmen sind die treibende Kraft, aber die Bedeutung findet Schiff in den Stockungen, den Momenten des Wechsels, den kurzen Pausen. Die rhythmischen Spiele Bartóks bereiten den Weg für Bachs von Schiff akribisch aufgefächerte und heiter nuancierte Polyphonie, und Bachs Duette wiederum strahlen auf die komplexe Rhythmik und die harmonischen Mischungen der Bartók-Tänze aus. So versteht Schiff Europa, erklärt er wortlos: als sich bereicherndes Miteinander. Dabei liegt in Schiffs großer Draufsicht die Gelassenheit des Musikers, der schon so viele pianistische Gipfel erklommen hat und nun im Altbekannten neues Feuer sucht.
Die erste Hälfte schließt er mit Bartóks Sonate Sz 80 aus 1926, voll dunkler Höhenflüge und wechselhafter Ideen, eine Feier des Ungewöhnlichen, aber auch des Vergänglichen unter Schiffs erfahrener Hand.
Die zweite Hälfte wird wieder ein Piano-Vortrag. Nun widmet sich Schiff der Lyrik. Janáceks Impressionen „Im Nebel“, eine düstere Erinnerung an die jung verstorbene Tochter des Komponisten, trifft Schumanns C-Dur-Fantasie. Beide sind Liebeserklärungen, die eine unerbittlich rückwärts gewandt, die andere in Hoffnung geschrieben. So gerät „Im Nebel“ auch zergrübelt. Allein wie Schiff im Andantino in das Moll-Echo hineinlauscht, spricht von tiefem Pessimismus. Schiff hört wieder in Pausen und Stockungen hinein, und wieder bündeln plötzliche energische Aufwallungen den Melancholiestrom. Interessant ist, wie Schiffs Abgeklärtheit – die ersten Themen klingen, als hole er alte Fotografien ans Licht – einer emotionalen Direktheit weicht.
Die klingt noch deutlicher durch in der Schumann-Fantasie, dem Dichtesten, was Schiff an diesem langen Abend spielt. Er wählt ein alternatives Finale, die Budapester Fassung, die das Geliebten-Thema vom Ende des ersten Satzes aufgreift und damit den Bezug zu Beethovens Zyklus „An die ferne Geliebte“ vertieft. Schumann schrieb die Fantasie in einer Zeit der Trennung von Clara Wieck. Das Budapester Ende lässt das Liebesbekenntnis des letzten Satzes nicht in Wellen abebben, sondern bündelt es. So spielt Schiff den letzten Satz mit einer Innigkeit, die sich kaum ans Tageslicht traut, kühner wird und am Ende an seinen Anfang zurückkehrt. Wer mag, kann darin eine Botschaft lesen.
Westfälischer Anzeiger, Edda Breski
Es gibt wenige Pianisten, die gut Klavier spielen und gut über Musik reden können. András Schiff ist einer von ihnen. Am Dienstag schenkte er dem Publikum des Klavier-Festivals Ruhr im Konzerthaus Dortmund ein knapp 40-minütiges Extra zu seinem...
Es gibt wenige Pianisten, die gut Klavier spielen und gut über Musik reden können. András Schiff ist einer von ihnen. Am Dienstag schenkte er dem Publikum des Klavier-Festivals Ruhr im Konzerthaus Dortmund ein knapp 40-minütiges Extra zu seinem Klavierabend, in dem der 63-jährige Ungar in perfektem Deutsch die "Dialoge" zwischen den beiden Werkgruppen erklärte. Und zwischen vier Komponisten - "vier Europäern. Man muss heutzutage betonen, was für eine Bedeutung Europa hat", sagte Schiff. Bach und Bartók stellte er im ersten Teil gegenüber: das Capriccio "Über die Abreise des geliebten Bruders" und Duette aus der "Clavierübung" sowie Tänze aus dem "Mikrokosmos" und Bartóks Sonate. Und Schiff braucht kein Pedal, um ein großer Gestalter zu sein. Ruhig und linear spielte er diese Werke und stellte Strukturen wunderbar heraus. Der Ungar ist nicht nur ein großartiger Klangpoet, sondern auch ein guter musikalischer Architekt. Ohne Übergänge fügte er die Werke aneinander. Und man hörte nur an der etwas wilderen Rhythmik und freieren Harmonik von Bartók, wo die Barockwerke enden und die aus dem 20. Jahrhundert beginnen.
Janácek und Schumann war das Dialogpaar des zweiten Teils. Und stand im ersten Teil Rhythmus im Vordergrund, ging es dann um Poesie. Janáceks Requiem für seine Tochter, "Im Nebel", breitete Schiff als dichtes Ausdrucksstück mit empfindsamem Anschlag aus. Auf die Vaterliebe im Trauerflor folgte Schumanns glühende Liebe für Clara Wieck, die C-Dur-Fantasie. Mit einem neuen Schluss, den er in der Budapester Bibliothek entdeckt hat, spielte Schiff das leidenschaftlich liedhafte Liebesbekenntnis.
Zugaben hätte das runde, mit den Erklärungen lange Programm nicht gebraucht, aber Schiff dankte mit Schumanns Humoreske und dem "Fröhlichen Landmann".
Ruhrnachrichten, Julia Gaß
Mit seinem 16. Auftritt beim Klavierfestival Ruhr füllte András Schiff das Konzerthaus Dortmund fast bis auf den letzten Platz. Der bescheidene und noble Pianist erreicht mit seinem delikaten Spiel eine erfreulich große Fangemeinde. Und das, obwohl...
Mit seinem 16. Auftritt beim Klavierfestival Ruhr füllte András Schiff das Konzerthaus Dortmund fast bis auf den letzten Platz. Der bescheidene und noble Pianist erreicht mit seinem delikaten Spiel eine erfreulich große Fangemeinde. Und das, obwohl er auf jede athletische Attitüde verzichtet und Musik für Feinschmecker wie auf einem edlen Silbertablett serviert.
Sein Hausgott Bach darf natürlich nicht fehlen. Es waren diesmal eher unscheinbare Miniaturen, die Schiff mit seiner sensiblen Anschlagskultur und seinem völlig uneitlen Spiel zu funkelnden Diamanten schliff. Kein romantisierender Schwulst, keine trockene Motorik – ein kristallin reines Bach-Bild.
Béla Bartóks „Sechs Tänze im bulgarischen Rhythmus“ aus dem „Mikrokosmos“ sowie dessen einzige Klaviersonate vertrugen sich mit den Preziosen Bachs, weil Schiff bei Bartók weniger die Muskeln spielen ließ, sondern die filigranen rhythmischen Strukturen und kühnen harmonischen Wendungen in den Mittelpunkt stellt. Dann ergänzen sich die ungleichen Meister doch in einträchtiger Harmonie.
Die herben, aber zutiefst menschlich anrührenden Stimmungsbilder aus Leoš Janáčeks Zyklus „Im Nebel“ waren bei Schiff ähnlich gut aufgehoben. Beim ausladendsten Stück des Abends, Schumanns großer Fantasie in C-Dur op. 17, drosselte er den schwärmerischen Vorwärtsdrang bisweilen gefährlich stark. Umso schöner gelangen ihm die lyrischen Passagen. Eine etwas unausgeglichene Schumann-Interpretation mit gebremstem Funkenflug.
Der orgiastische Beifall des überaus disziplinierten und aufmerksamen Publikums war in jedem Fall gerechtfertigt. Allerdings könnte der Meister überlegen, ob er mit zu langen Werkeinführungen, die vor dem Konzert durchaus willkommen wären, den Abend auf fast drei Stunden dehnen sollte.
WAZ, Pedro Obiera

Kritiken / Pressestimmen
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