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Preisträger des Klavier-Festivals Ruhr 2003
Schon mit seiner 1816 komponierten Klaviersonate op. 101 hatte Ludwig van Beethoven einen Weg eingeschlagen, der in bis dahin ungeahnte musikalische Gefilde führen sollte. Denn für den Komponisten, dessen Gehör sich rapide verschlechterte, war die Musik schon zu jenem Zeitpunkt zu einer „höheren Offenbarung als alle Weisheit und Philosophie“ geworden. Um diesen göttlichen Strahlen Kontur zu geben, musste er fortan vom Ausdruck, aber auch von der Form her alle Konventionen über Bord werfen. Den ersten Schritt hatte er 1816 mit der ersten seiner fünf letzten Klaviersonaten getan. In den Jahren 1817/18 ließ Beethoven den nächsten folgen - mit der schon fast monströs anmutenden „Hammerklaviersonate“ op. 106, die für Alfred Brendel weit über alles hinausgeht, „was auf dem Gebiet der Sonatenkomposition jemals gewagt und bewältigt wurde.“
Mit ihren knapp 1.200 Takten ist die Klaviersonate Nr. 29 B-Dur op. 106 Beethovens umfangreichste. Und welche spieltechnischen Horizonte er mit diesem als „Große Sonate für Hammerklavier“ veröffentlichten viersätzigen Werk aufreißen sollte, wusste Beethoven selber nur zu gut. So teilte er seinem Verleger Artaria mit: „Da haben Sie eine Sonate, die den Pianisten zu schaffen machen wird.“ Kein Wunder, dass dieses Opus Magnum erst langsam seinen Weg in die Konzertsäle fand. So waren es im Grunde erst Franz Liszt und danach Hans von Bülow, die die Sonate etablierten. Die Entstehung des Werks mag durchaus auch von einem neuen Instrument befördert worden sein, das Beethoven kurz zuvor vom Londoner Klavierbauer John Broadwood geschenkt bekommen hatte. Beethoven, der sich bis dahin immer wieder über die handwerklichen Unzulänglichkeiten der ihm zur Verfügung stehenden Klaviere beklagt hatte (u.a. rissen ständig die Saiten), besaß jetzt mit dem sechs Oktaven umfassenden Broadwood-Flügel ein robustes, allen pianistischen Visionen gewachsenes Instrument.
Mit markanter Wucht unterzog Beethoven seinen Flügel direkt einer ersten Belastungsprobe – mit den Eröffnungstakten seiner „Hammerklaviersonate“, die angesichts ihres Einfallsreichtums und ihrer manuellen Herausforderungen mit überhöhenden Attributen wie „dämonisch“ bezeichnet und als „Ur-Musik“ charakterisiert wurde. Dabei ist der 1. Satz offensichtlich das Werk eines Großbaumeisters, der ihn mit hellwachem Geist konstruiert hat. Bei aller Komplexität, die in der Durchführung mit ihrem mächtigen Fugato kulminiert, strotzt dieser Satz vor Energie und Entladungen. Beethoven lässt ihm ein erstaunlich kurzes Scherzo folgen – das aber mit seiner bedrückenden Schattenhaftigkeit und den im Prestissimo rasenden Ausbrüchen mehr als nur eine Zwischenetappe zu dem riesigen „Adagio sostenuto” ist. Was schwingt in dieser bewegenden Meditation nicht alles mit: Hoffnung und Zuversicht, Trost und Sanftmut. Etwas von der überirdischen Stimmung des langsamen Satzes besitzt auch die „Largo“-Introduktion des Finalsatzes. Mit dem „Allegro risoluto“ sprengt Beethoven schließlich einmal mehr alle Erwartungen, indem er ein irrwitzig kühnes Fugengebäude errichtet, in dem keine akademisch-gelehrten Kräfte walten, sondern das pure, spannungsgeladene Leben.
Der in Danbury/Connecticut geborene Charles Ives muss ein glückliches Kind gewesen sein. Schließlich hatte er bei seinem musikenthusiastischen Vater ziemlich viel Narrenfreiheit. Als der kleine Charles etwa mit den Fäusten wie wild auf den Klaviertasten herumhämmerte, klappte Dad George nicht empört den Klavierdeckel zu, sondern antwortete: „Schön und gut, Charles. Aber wenn Du Schlagzeug spielen willst, dann solltest du es richtig lernen.“ Doch George Ives sollte dem Junior die Welt der Musik noch auf andere Art und Weise öffnen. So ließ er einmal zwei Musikkapellen nicht nur gleichzeitig verschiedene Stücke spielen, sondern verteilte einzelne Gruppen auf umliegende Dächer und Veranden. Auch dieses Spektakel war für Charles ein unvergessliches Erlebnis. Später türmte er in seinen Orchesterwerken immer wieder die unterschiedlichsten Klangschichten aufeinander, die von Kirchenliedern über Gospels bis hin zu Ragtimes und Märschen reichten. Und auch das Spiel mit im Raum verteilten Klangstationen griff Ives auf und arbeitete, ähnlich wie sein Zeitgenosse und Bewunderer Gustav Mahler, mit Fernorchestern.
Als Ives, der im Hauptberuf Teilhaber einer Versicherungsgesellschaft war, sich 1909 an seine riesige 2. Klaviersonate setzte, spickte er sie ebenfalls mit zahlreichen musikalischen Zitaten. So blitzt Chopins berühmte „Revolutionsetüde“ genauso schemenhaft auf wie ein Motiv aus der Bach-Kantate „Es ist genug“. Zum roten Faden durch alle vier Sätze wurde das Einleitungsthema von Beethovens 5. Sinfonie. Ives bezeichnete es als „Human faith and melody“ (Menschheitsglaube und –melodie) und verstand es als musikalisches Äquivalent zu den religiös-philosophischen Botschaften der von ihm so bewunderten amerikanischen Transzendentalisten. Diese Denkrichtung, die die Natur als Spiegel einer göttlichen Weltseele verstand, vertraten vor allem die Philosophen und Schriftsteller Ralph Waldo Emerson, Henry David Thoreau, Bronson Alcott sowie Nathaniel Hawthorne. Sie alle hatten sich in der neuenglischen Kleinstadt Concord unweit von Boston niedergelassen. Und sie alle verewigte Ives in jeweils einem Satz seiner Sonate, der er den Titel „Concord, Mass., 1840-60“ gab.
Die durchaus an die Dimensionen von Beethovens „Hammerklaviersonate“ anknüpfende, erst 1939 nach zahlreichen Überarbeitungen uraufgeführte Sonate beginnt mit dem rund 17-minütigen Satz „Emerson“. Darin, so Ives in seinem Kommentar, sehe man Emerson „auf einem Gipfel stehen, am Tor zur Unendlichkeit, wohin viele Menschen nicht zu steigen wagen“. Wild, ungestüm und auch mit so manch burleskem Ragtime-Appeal kommt dagegen „Hawthorne“ daher – wobei Ives hier zwischendurch auch für Akkordcluster sorgt, die nicht mit den Händen, sondern mit einem Stück Holz gespielt werden sollen, dessen genaues Maß Ives in der Partitur notiert. „The Alcotts“ ist der sanfteste und lyrischste Satz der gesamten Sonate. Und mit „Thoreau“ hält man sich im Wald unter dem Sternenhimmel auf. Laut Ives beschreibt der Satz „einen Abend, an dem der ganze Körper ein einziger Sinn ist.“
Guido Fischer

Werkeinführung
Schon mit seiner 1816 komponierten Klaviersonate op. 101 hatte Ludwig van Beethoven einen Weg eingeschlagen, der in bis dahin ungeahnte musikalische Gefilde führen sollte. Denn für den Komponisten, dessen Gehör sich rapide verschlechterte, war die...